Alles Roger [Pop]
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Nach mehr als zehnjähriger Karriere als Rapper bei Blumentopf, einer von Deutschlands kommerziell wie künstlerisch erfolgreichsten Rapcrews (fünf Longplayer, zwei davon Top Ten, zahlreiche ausverkaufte Touren, von Juice-Lesern mehrmals zur besten Liveband gewählt, Tour mit dem Goethe-Institut im Nahen Osten etc.), hat Roger beschlossen einiges, wenn nicht alles, anders zu machen.
Kurz gesagt: Bauch statt Kopf, Gitarre statt 1210er, Gefühl statt Konzept, schnell statt perfekt. Will da jemand ausbrechen? Nein, im Gegenteil. Da will jemand ankommen. Bei sich. Bei der Musik. Klingt melancholisch? Ha, reingefallen.
Die kompromisslose Single „Nichts und Niemand“ bringt die Grundhaltung von „Alles Roger“ auf den Punkt: „Ich geh schon mal voraus / Kommt nach wenn ihr wollt / Nichts und niemand hält mich auf / Macht was Ihr wollt / Ich geh voraus“. Getragen von warmen Bläsersätzen, getrieben von rastlosen Hi-Hats geht es um Alles oder Nichts. Es gibt kein „Apfel+Z“ und Nichts und Niemand kann ihn aufhalten.
Dabei zeigt Roger eine beeindruckende Vielseitigkeit: Songwriter, Produzent, Rapper, Grafiker. Wofür andere eine Band, Imageberater oder Hypemaschinen brauchen, benötigt Roger nicht mehr als ein Jahr, sein Wohnzimmer, Unmengen Kaffee und einige Tritte in den Allerwertesten.
„Viele Songs wollte ich gar nicht rausbringen, sie waren einfach nur für mich. Aber mein Freundeskreis hat mich dazu gedrängt, und mittlerweile bin ich ihnen wirklich dankbar:“
Rogers musikalische Ambitionen sind vielen Blumentopffans schon lange bekannt. Schon auf „Musikmaschine“ hat Roger einen Großteil der Hooks eingesungen, und auch davor immer wieder Input geliefert. „Oft kam ich ins Studio mit einer Melodie oder einem Refrain. Das hab ich dann den Jungs vorgespielt, und gemeinsam haben wir dann den klassischen Blumentopf-Sound gemacht.“
Das hat lange gut und erfolgreich funktioniert, reicht dem Münchener Energiebündel auf Dauer aber nicht. Die Bandpause des Topfs musste genutzt werden.
„Für mein Album, wollte ich keinen anderen Filter außer meinem. Ich habe auch niemandem aus der Band meine Songs vorgespielt.“
Um es klarzustellen: Roger ist Blumentopf und Blumentopf ist Roger. Zehn Jahre als feste Konstante der sich unaufhörlich verändernden Rapszene bekommt niemand aus dem 33-jährigen Münchener heraus. Doch als Solokünstler werden andere Saiten aufgezogen - Gitarrensaiten beispielsweise.
„Ich habe einfach sehr viel Spaß mit meiner Gitarre, habe Spaß an guten Melodien. Das hört man dem Album, glaube ich, auch an.“
„Alles Roger“ ist ein leuchtendes Exempel, dass offensiv-schräges Gitarrenspiel, straighte, treibende Kickdrums und dillaeske Synthesizern hervorragende Trinkkumpane sein können, wenn man sie nur mal zusammenbringt. Die bewusste Abgrenzung vom Topf-Filter zeigt sich auch in der Direktheit der Songs auf „Alles Roger“. Die selbstbewusste Devise: Je einfacher, desto besser.
„Wenn in meinen Songs das Gefühl stimmt, muss es nicht perfekt sein. Ich wollte eine Bauchplatte haben. Mit allem, was dazugehört.“
Rogers Bauchentscheidungen führten nach mehr als einem Jahr Arbeit zu einer sehnsüchtigen Ballade wie „weit weg“, die mit E-Gittare und Livedrums dem Eskapismus frönen, ohne dabei den Sinn für die Realität zu verlieren. Und wenn man schon nicht wie ein Vogel wegfliegen kann, dann kann man zumindest nach oben schauen. Lasst die anderen doch reden. Warum denn nicht mal wieder träumen?
„Dieser Song hat für mich an diesem Tag einfach gepasst. Es war ein Schnappschuss, den man schon von irgendwoher kennt, aber dennoch verdammt gut aussieht. Jeder kennt das Gefühl, wenn man mal weg will. Und zwar ganz schnell.“
Doch Roger steckt den Kopf nicht in den Sand, Rogers Bauchentscheidungen führen zu aufrichtigen und nützlichen Beziehungsratgebern wie „Nach Vorn“ („Vergiss John Mayer, von mir aus hör halt Slayer“), oder wütende Ohrfeigen an all die Dampfplauderer dieser Erde, die alles zu haben scheinen nur eben nicht das nötige „Feuer“ unter dem Arsch. Oder zusammengefasst: dort wo viele sich damit begnügen Tracks zu machen, schreibt Roger Songs. Dort, wo bei anderen das Lachen im Hals stecken bleibt, muss es bei Roger raus. Dort, wo Wahrheit wehtut, unterhält sie am besten. Und dort fühlt sich Roger am wohlsten.
„Alles Roger“ ist ein Album, welches sich um einen Vielseitigkeitspreis bewirbt und ihn doch nicht haben will. „Alles Roger“ ist eine Kopfhörerplatte für Kenner und solche, die keine Angst vor dem „Kennen Lernen“ haben. „Alles Roger“ ist Popmusik, ohne in die Untiefen der seichten Unterhaltung abzudriften. Nichts ist geschliffen, dafür alles echt. Künstlerischer Mut, der belohnt werden muss.
Wer versucht „Alles Roger“ nur zu verstehen, der tut Roger und den Songs Unrecht. Sie wollen erfahren, erarbeitet und nicht zuletzt gefühlt werden. Jeder der bereit ist seine Meinung über den Soll-Zustand deutscher Rapmusik um einige musikalische Facetten zu bereichern, der kommt an „Alles Roger“ nicht vorbei. Jeglichem Kulturpessimismus im Kalenderjahr 2008 in punkto Rapmusik zum Trotz.
„Die Freude am HipHop habe ich eigentlich nie verloren. Mich nervt das auch, wenn sich viele von HipHop abwenden weil es zu proletarisch geworden ist. Aber das kann es nicht sein. Man kann nicht den Schwanz einziehen und den Idioten das Feld überlassen. Ich gebe diese Kultur nicht her. Das ist mein Ding.“
Nur eben jetzt auch mit Gitarre und Gesang. Sonst bleibt alles anders und besser. Und „Alles Roger“.
(Quelle: Four Music) FORMAT: CD
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