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CD-DETAILS CODE B [BELA B.]

Bela B.

Code b [Deutsch RockPop]


RELEASE: 02.10.2009


LABEL: BPX 1992

VERTRIEB: Sony Music

WEBSITE: www.bela-b.de

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All hail to the Power of Widerspruch!

Bela B muss man hierzulande nicht mehr vorstellen. Weil er in dieser Band spielt, über die in den Medien so gerne gesagt wird, dass ihre Mitglieder sie "ironisch" als "die beste Band der Welt" bezeichnen. Was nicht wahr ist. Sie tun das nämlich völlig ironiefrei. Aber anderen Menschen Ironie zu unterstellen, gehört in den Medien ja inzwischen zum guten Ton und ist ähnlich en vogue wie öffentlich ausgestelltes Schwarz-Weiß-Denken. Oder wie die Ausweitung der moralischen Grauzonen. Ach, das widerspricht sich? Und Widersprüche sind böse und unsexy? Die wollen wir in der Krise nicht? Sagt wer? Das Privatfernsehen? Aber war es nicht die Moderatorin von Bauer sucht Frau, die gesagt hat: "Ich weiß sehr wohl, wie widersprüchlich man sein muss, um wirklich konsequent zu sein"? Nein, war sie nicht?

Nachdem wir also die Begriffe "beste Band der Welt" und "Ironie" abgefrühstückt haben, können wir uns im Folgenden den wirklich wichtigen Dingen widmen. Nämlich Bela Bs neuem Album Code B sowie einem Phänomen, das wir an dieser Stelle mal als "The Power of Widerspruch" bezeichnen wollen. Denn es sind - wie schon bei seinem famosen Solo-Debut Bingo - die Widersprüche, aus denen sich die Kunst des Herrn B speist und die die Wirkungsmacht derselben ausmachen.

Bingo bezog seine Kraft noch aus der Reibung zwischen Las Vegas und Helmstedt, Brillhouse und Scheißhaus, Lapdance und Seelenstriptease, ergo aus einer - im presleyschen Sinne - barocken Inszenierung des Jahrtausende alten Tauziehens zwischen den beiden großen Lebensentwürfen "Show" und "Wahrhaftigkeit". Code B geht nun wieder einen Schritt zurück - und damit den entscheidenden Schritt weiter.
Klingt widersprüchlich?

Soll es ja auch, ist es allerdings nur bedingt, denn: Weniger ist mehr. Wer jemals etwas mit dem Begriff "Punk" anfangen konnte, der weiß, wovon wir hier sprechen. Die Schlagworte lauten: drei Akkorde, nicht so viele Worte machen, die Dinge auf den Punkt bringen, auch mal selbst mit anpacken.

Bitte nicht falsch verstehen: Code B ist zwar in Sachen Haltung eindeutig Punkrock, riecht aber weder nach abgestandenem Teppichboden, angekokeltem Schäferhund und schimmeligem Dosenbier noch brettert es auf einem über

Stattdessen gibt es Power Pop in der Tradition von The Nerves, Stiv Bators oder der Barracudas. Code B ist eine düster-beschwingte Hommage an The Birthday Party und Belas jüngst verstorbenen Helden Lux Interior. Man findet darauf Agentenfilm-Twang, einen Hauch Psychedelic, einen Flirt mit russischer Folklore, eine Handvoll New Wave, ein Fitzelchen Post-Punk und eine Schippe ungesiebten Garagenrock. Alles zusammengefügt im Hier und Jetzt - mit nichts als Spucke, Heftklammern und einer großen Kelle guten Geschmacks.

Denn Code B hat Stil. Mindestens so viel Stil wie Widersprüche. Und aus denen ergibt sich beinahe so etwas wie ein Konzept, das es in Form eines Artworks in bester Hipgnosis-Manier bis aufs Cover geschafft hat bzw. umgekehrt: Da hält unser Held eine Maske mit den Zügen seines Gesichts in der Hand - oder des Gesichts, das wir als seines kennen. Welches von beiden sein wirkliches Gesicht ist oder ob das eine nicht vielleicht sogar identisch mit dem anderen ist, wird uns nicht verraten: Auf dem Cover-Foto gibt Bela sich recht kopflos.

Im Gegensatz zur Musik, der Bela - immer ihre Bühnentauglichkeit im Blick - die bereits thematisierte Schlankheitskur verpasste, hat er den Überbau eben nicht downgegradet, sondern ihn bloß mit dem Klammersack gepudert. (Bei Bela B ist der Überbau ja weniger Planerfüllung, als vielmehr das "Fuck" in "Fuck happens" - frei nach dem Motto: "Alter, ich hab' 'ne neue Platte gemacht und jetzt ist da schon wieder so'n Überbau passiert. Ich hab' ihn einfach dringelassen, wie die anderen Fehler auch.")

Das Ergebnis kann sich sehen lassen: Während auf Bingo ein und derselbe Widerspruch immer wieder aufs Prächtigste variiert wurde, widerspricht sich auf Code B so ziemlich alles. Die Kunstfigur Bela B beispielsweise - der Graf, dieser singende, trommelnde und Sprüche klopfende untote Obermacker der Hämatophagen - darf den werten Hörer zwar ins Album einführen, wird aber im Folgenden tunlichst ignoriert.

In dem von Tony Parsons' tollen Coming-of-Age-Roman Als wir unsterblich waren inspirierten gleichnamigen Song ist es sogar ein offenkundig sterblicher Bela, der hier den angstfreien Hedonismus der eigenen Jugend besingt.

Dass Bela wiederum möglicherweise älter und weiser geworden, aber keineswegs "of age" gekommen ist, beweist einmal mehr die eine oder andere grandiose Albernheit. "Ja, ja, geil, albern, juchuh, endlich Blödsinn, hihi", mag sich jetzt so mancher denken, "das ist bestimmt eine Anspielung auf den Song Altes Arschloch Liebe, den Titel habe ich schon im Tracklisting gelesen."

Hühnerkacke!

Denn ausgerechnet dieser Song ist in der Tat Poesie in Reinform und, wenn man das tragische Liebeslied als die Königsdisziplin der Popmusik betrachtet, dann ist Bela B mit diesem Emo-Gassenhauer der Popsong aller Popsongs gelungen: Präziser und zugleich tragischer hätte selbst Hank Williams Senior, der erfolgreichste Minimalist unter den singenden Herzschmerz-Poeten, das Ur-Dilemma des menschlichen Miteinanders nicht auf den Punkt bringen können. Bei Zeilen wie "Liebe, du alte Scheiße" spürt man förmlich die Zuckungen des herausgerissenen Herzens auf der Handfläche; man schmeckt das Blut auf der Zunge. Allerdings ist Bela, der in seinem bisherigen Leben vermutlich die meiste Zeit einen Koronargips trug, gerade so gar nicht unglücklich verliebt. Ganz im Gegenteil. Ha! Widerspruch über Widerspruch.

Wozu das alles gut sein soll?

Einfach mal "Es gibt kein Schwarz und Weiß mehr" hören. Und wenn einen danach das Verlangen überkommt, sich "I love Ambivalenz" auf den rechten Oberarm tätowieren zu lassen, sollte man dem ruhig nachgeben. Und sich bei der Gelegenheit am besten gleich "I hate Ambivalenz" auf den linken stechen lassen. Ersteres in Frakturschrift, Letzteres in dieser kaugummiartigen Mordillo-Typo.

Der innere Zusammenhang dieses Wunderwerks namens Code B geht also nicht allein auf Spucke und Heftklammern zurück, sondern entsteht durch alles und nichts gleichzeitig. Beziehungsweise begründet sich in den Widersprüchen zwischen den beiden ollen Antagonismen "Alles" und "Nichts". Die wiederum wahlweise durch "Plus" und "Minus", "Weiß" und "Schwarz" (gibt es nicht mehr), "Yin" und "Yang" oder eben "Ja" und "Nein" ersetzt werden können.

Damit wissen wir jetzt also, was der Poet Bela B, der Leser Bela B, der Zeitzeuge Bela B, der unsterbliche Bela B, der sterbliche Bela B, der Punkrocker Bela B und der Liebhaber Bela B zu diesem Wunderwerk namens Code B beigetragen haben .

Fehlt noch der Beitrag des Fans Bela B. Gemeint ist jener Mann, der für seine liebsten Comiczeichner dereinst einen Verlag gründete und die Autoren seiner Lieblingsbücher, wie John Niven und Leopold von Sacher-Masoch, persönlich ins Feuilleton geschliffen hat. Der Filmfanatiker, der für 600.000 US-Dollar private Sicherheitskopien von sämtlichen Charles Bronson-Filmen gedreht hat, der für Nischenregisseure wie Tarantino und Ittenbach den Kopf hinhielt und die Qualitäten eines Films wie Operation Dance Sensation bereits in den Himmel gelobt hatte, bevor Regisseur Thilo Gosejohann seine Seele an den Moloch Hollywood verkaufte. Dieser hingebungsvolle Typ mit dem goldenen Herzen für Außenseiter, der Graceland mit seinen großzügigen Spenden vor den Baggern einer libyschen Investorengruppe rettete, der sich drei Tage lang für den FC St. Pauli an die DFB-Zentrale kettete und der inzwischen seit fünfzehn Jahren an der theologischen Fernuniversität Hagen Rock 'n' Roll-Historie doziert.

Here we go: Der Fan Bela B hat nicht nur den Hildesheimer DIY-Monumentalfilmer Wenzel Storch das Video zu Altes Arschloch Liebe drehen lassen, sondern sich - wie man es von ihm gewohnt ist - auch noch Gäste ins Studio eingeladen: Etwa St. Paulis Nummer 14, Verteidiger Marcel Eger, der sich am Schlagzeug ausleben durfte. Oder den italienischen Komponisten, Multi-Instrumentalisten und Ennio Morricone-Kumpel Alessandro Alessandroni, dessen Gitarrensound noch heute jeder zitiert, der seiner Musik einen Hauch von Spaghetti-Western verpassen will.

Den wichtigsten Gastbeitrag dürfte aber Gitarristen-Legende Chris Spedding geleistet haben. Denn kein Musiker hat den Gitarristen Bela B so sehr beeinflusst wie dieser Mann, der es 1974 ablehnte, als Nachfolger von Mick Taylor bei den Rolling Stones einzusteigen, und der später die ersten Sex Pistols-Demos produzieren sollte. Und für die Entstehung von Code B war wiederum nichts von solcher Bedeutung wie Belas Gitarrenspiel.

Wie jetzt? Bela ist doch Schlagzeuger?

Ja. Auch. Aber Bela ist vor allem mit Herz und Seele Rock 'n' Roller. Und wie kann man das sein, ohne Gitarre spielen zu wollen? Also hat er gespielt. Und Chris Spedding gehört. Und gespielt. Erst im stillen Kämmerlein, dann unter der Bühne, dann im Tourbus, dann hinter der Bühne, dann im Studio und schließlich auf der Bühne. Und er ist besser geworden. Nicht Yngwie-Malmsteen-besser, sondern eben Bela-B-besser. Und so konnte es passieren, dass jeder Song auf Code B auf der Gitarre komponiert wurde und die eine oder andere Gitarre auf diesem Album, die eindeutig nach Chris Spedding klingt, von Bela B gespielt wurde, während Chris Spedding sich einmal die Noten eines Bela B-Gitarrensolos rausschrieb, um es dann eins zu eins nachzuspielen.

Belas vierter Gast ist Emmanuelle Seigner - Ihres Zeichens Schauspielerin, Debbie Harry-Verehrerin, Ehefrau von Roman Polanski, Sängerin und bei unseren französischen Nachbarn beinahe so etwas wie eine nationale Ikone. Von dem Album, das sie mit dem französischen Duo Pierre und Gil Emery als Ultra Orange & Emmanuelle aufgenommen hat, war Bela derart begeistert, dass er sie zum Duett bat. Die Dame singt übrigens englisch.

Was - wie jeder weiß, der Jane Birkin jemals französisch singen gehört hat - ausnahmsweise einmal kein Widerspruch ist.

(Quelle: Sony Music, 2009)


FORMAT: CD


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