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CD-DETAILS DAS WIRD ALLES EINMAL DIR GEHöREN [HERRENMAGAZIN]


Foto: Felix Gebhard

Herrenmagazin

Das wird alles einmal dir gehören [Deutsch RockPop]


RELEASE: 03.09.2010


LABEL: Motor

VERTRIEB: Rough Trade

WEBSITE: herrenmusik.de

Das wird alles einmal dir gehören MySpace Amazon 

Wenn man sich 20, 30 Jahre mit Rockmusik beschäftigt, passiert es nicht mehr oft, dass man von einem Album spontan so begeistert ist, dass man weiß: Das wird mir bleiben, für Jahre, vielleicht für immer. Nein, ehrlich gesagt: Das passiert einem gar nicht mehr. Bis eine Band daherkommt, von der man nichts erwartet, in deren Album man kritikerpflichtgemäß mal reinhört – und plötzlich macht es PENG, und es ist passiert, vom ersten Ton, vom ersten Wort bis zum letzten. So ging es mir vor zwei Jahren mit „Atzelgift“ von Herrenmagazin, einer Band, bei deren Namen die meisten Angesprochenen Augenbrauen und Mundwinkel auf „Ach Gott!“ drehten. Zum Glück war ich nicht der Einzige, dem es so ging. Menschen wie Marcus Wiebusch (Kettcar) und Jan Müller (Tocotronic) erging es ganz ähnlich.

Die Band

Herrenmagazin – nicht allzu lange zuvor gegründet und ganz ohne die übliche Grundausbildung von Popseminaren, betriebswirtschaftlicher Konzeptplanung und Selbstvermarktung durch Glück und Beziehungen bei einer Plattenfirma gelandet. Kommen aus Hamburg, was für sie selbst keine große Rolle spielt (abgesehen von der Sprache und den Beziehungen), und sind zu viert – Deniz Jaspersen singt und spielt Gitarre, Rasmus Engler trommelt. Bassist Paul Konopacka, ist ein Stück jünger und kam 2005 dazu. Neu dabei ist als Gitarrist „König Wilhelmsburg“.

Herrenmagazin sind eine Band, wie man sich Bands als romantisches Ideal vorstellt: saufen, feiern und zusammen spielen. Nein, ihre Musik ist für Herrenmagazin kein Beruf, auch kein „Hobby“, sondern – das Leben. Das ist es wahrscheinlich, was sie so einzigartig macht: dass daran nichts konstruiert, gewollt, bemüht klingt, keine Vorlagen, Vorgaben, „Elemente“ verarbeitet werden, sondern alles natürlich entsteht, wächst und fließt. Deshalb wirken ihre Songs so entwaffnend und mitreißend: weil sie sich nicht anbiedern; du kannst sie hören, wenn du willst – aber mach dich darauf gefasst, dass sie dich nicht mehr loslassen.


Die musikalischen Bezüge

Das heißt nicht, dass sich keine Bezüge herstellen lassen: Da sind verschlungene Gitarrenlinien, wie sie die Unverschlechterlichen heute noch an den klassischen C86-Indie-Bands, an Wedding Present, McCarthy, auch an den Smiths lieben. Da ist die fröhliche Haltlosigkeit ihrer Erben von Babyshambles und Arctic Monkeys bis The Lodger und Mumm-Ra. Da denkt man an Postpunk, an die Klarheit, Schärfe, puristische Eleganz und minimalistische Arroganz von Wire, Magazine, The Fall, die von Placebo bis Bloc Party stilprägend bleibt. Und bisweilen an die frühen Ton, Steine Scherben (ohne deren politische Naivität und musikalische Unbeholfenheit) sowie, na klar, die frühe Hamburger Schule, als Blumfeld auf ihrem zweiten Album die gleichen Einflüsse aufgriffen, mit (musikalisch) ähnlicher Wirkung.

Hinzu kommen Stolz, Attitüde, Vehemenz und Radikalität des britischen Streetpunk, die rebellische Melancholie eines Jimmy Pursey (ein Fingerzeig an pseudointellektuelle Pullunderträger, die sich schon immer fragen, was Morrissey an diesen Cockney Rejects gefunden hat), vereint mit der typisch deutschen Spannung aus poetischem Aufbruch, Verweigerung und Melancholie: Wir werden untergehen, aber schon dass wir's versucht haben, macht uns zu besseren, freieren Menschen. Um die Band selbst zu zitieren: „Wir zetteln einen Krieg an / Und nehmen gern in Kauf / Dass wir damit scheitern / Und alles andere auch.“

Vielfalt und Vollkommenheit

Klingt kompliziert, ist es aber nicht. Weil man all das nicht kennen muss, um von Herrenmagazin begeistert zu sein. Man muss ihnen nur zuhören. Herrenmagazin-Songs haben diese magische Qualität: Man kapiert sie, obwohl man nicht weiß, worum es geht. Ihr zweites Album „Das wird alles einmal dir gehören“ ist die logische Fortsetzung des ersten, musikalisch etwas weniger ungestüm und ruppig, ein Stück souveräner und gelassener geraten. Da ist auch Platz für eine getragene Hymne wie „Alle sind so“ (gesanglich unterstützt von keinem Geringeren als Gisbert zu Knyphausen), in der aber genug pulsierende Unberechenbarkeit steckt, dass niemand befürchten muss, sie könnten demnächst U2 supporten. Und Ideen, die die Wirkung steigern: die atmosphärische Tremologitarre in „Fahne“, der weltraumsynthetischen Chor-Break in „Gespenster“, das an Led Zeppelin erinnernde Riff, das in „Krieg“ das Neu!-motorische Schlagzeug konterkariert, die Akustikgitarre in der grandiosen Sperrstundenballade „Keine Angst“.

Der größte Unterschied zum Debüt: Die Platte wurde (im Studio) live aufgenommen (mit Produzent Torsten Otto, bekannt durch seine Arbeit für Tocotronic, Tomte, die Beatsteaksu. v. a.) – was man kaum glauben möchte, wenn man hört, wie uhrwerksmäßig perfekt die Band spielt, wie viel Gespür für Raum, Dynamik, rhythmische Spannung, im Akkordgestrüpp verborgene Melodien sie zeigt. Ohne Sperenzchen und Samples, nur mit Gitarre, Bass, Schlagzeug, Stimme.

Wahre Kunst – darin waren sich alle großen Künstler der Geschichte einig – besteht im Weglassen, und ein Kunstwerk ist dann vollkommen, wenn man nichts mehr weglassen kann. So ist das hier: Die Vielfalt liegt darin, was Herrenmagazin machen und wie sie es machen, nicht in dem, was sie an Deko drüberstreuen.

Die Magie der Texte

Und dann sind da die Texte: „Und ich rette mich über die Berge / Seh meinen Träumen hinterher / Es gibt keinen Platz auf der Erde / Wo ich nicht gerne wär“, singt Deniz im Opener „In den dunkelsten Stunden“; da ist noch nicht mal eine Minute um und die schwarze lyrische Faust der Hoffnungslosigkeit schon so oft gefallen, dass man geplättet am Boden läge, wenn dieser Chorus nicht wäre, der einen hebt und trägt. Man kann solche Zeilen interpretieren, wie man mag – politisch, soziologisch oder privat. Es sind Sätze, die sich mit Erlebnissen, Gefühlen, Gedanken und Erinnerungen verbinden, bis sie selbst zu Erlebnissen und Erinnerungen werden. Ruft man sie sich ins Gedächtnis, werden auch die Bilder wieder wach. Texte, die das können, sind nicht einfach Texte, sondern: Dichtung. Und in einer Welt der Banalitäten und Schwurbeleien retten sie uns das Leben. Oder, wie Herrenmagazin das viel trefflicher ausdrücken: „In mir trag ich alles / Was du dir vorstellen kannst.“


Und dann lachen wir…

Aber bevor wir (zu) pathetisch werden, zitieren wir lieber auch das: „Ich glaub, man sollte über alles lachen / Worüber keiner lachen kann.“ Das nämlich ist vielleicht das Wichtigste: die reinigende Kraft, die Herrenmagazin-Songs haben. Sie räumen Herz, Seele und Kopf frei, und egal wie schlecht es einem geht, bevor man sie hört – danach geht es einem besser. Mag sein, dass alles deprimierend, kaputt und ausweglos scheint. Aber: „Wir sind stärker als die Nacht“, und was gesagt ist, ist gesagt. Dann ist Platz und Zeit für die schönen Dinge im Leben: für Liebe, Freundschaft, Spaß und Blödsinn. Das ist wohl auch der Grund dafür, dass die vier Menschen hinter dieser Musik so erfrischend „normal“ sind, so ausgeglichen, fröhlich und entspannt, obwohl sie von Tod, Verderben, Untergang singen. Warum sie, statt an die Zukunft zu denken, über Probleme zu grübeln, ihre Karriere zu planen, lieber zusammen kochen, trinken und lachen über „die beknackten Ideen, die man beim gemeinsamen Herumsitzen hat“ (Deniz).

Das alles wirkt so perfekt und sympathisch, dass man unweigerlich denkt: Irgendwo muss der Haken sein. Ist er aber nicht. Es gibt keinen Haken. Herrenmagazin sind vier Jungs, die Musik machen. Eine Band. Zufällig die beste, die ich kenne. Die um ihr Leben spielt, um euch, uns, allen, die ein Herz und ein Hirn haben, klarzumachen, was Rockmusik im Jahr 2010 bedeuten kann. Nein: was sie bedeutet. Das kann alles euch gehören, wenn ihr wollt. Und damit ist alles gesagt.

Michael Sailer

Herrenmagazin live - Tourdates 2010/2011

  • 04.08.2010 Berlin - Lido
  • 07.08.2010 Sittensen - Sittensen Oakfield Open Air
  • 11.09.2010 Nürnberg - K4
  • 16.10.2010 Berlin - Magnet Club
  • 22.10.2010 Oberhausen - Drucklufthaus
  • 27.10.2010 Frankfurt - Das Bett
  • 28.10.2010 Regensburg - Heimat
  • 30.10.2010 Stuttgart - Schocken
  • 06.11.2010 Köln - Lichtung
  • 07.11.2010 Hamburg – Hafenklang
  • 19.01.11 Leipzig, Werk II
  • 20.01.11 Bielefeld, Bunker Ulmenwall
  • 21.01.11 Kassel, Schlachthof Kassel
  • 22.01.11 München, 59to1
  • 25.01.11 Erlangen, E-Werk
  • 26.01.11 Fulda, Kulturkeller
  • 27.01.11 Berlin, Festsaal Kreuzberg
  • 28.01.11 Magdeburg, Projekt 7
  • 29.01.11 Klautern, Kammgarn
  • 30.01.11 Regensburg, Heimat
  • 01.02.11 Wiesbaden, Schlachthof
  • 02.02.11 Karlsruhe, Jubez
  • 03.02.11 Düsseldorf, Forum Freies Theater
  • 04.02.11 Husum, Speicher
  • 05.02.11 Lingen, Schlachthof
  • 06.02.11 Hamburg, Hafenklang - Zusatzkonzert

(Quelle: Motor, 5.8.2010)


FORMAT: CD


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